Die Ferkel purzelten wild übereinander als sie auf die liegende Muttersau zustürzten. Dabei gab es mehr Zitzen als hungrige Mäuler.
Aber so war es immer. Junge Schweine hatten es eilig.

Jürgen Flieder genoss das Spektakel.
Seit er sich erinnern konnte mochte er Schweine. Der wache Blick der Ferkel ließ die Intelligenz der Tiere erahnen.
Eine Klugheit die einer Kuh oder einem Schaf vollkommen abging.
Beide waren aus Flieders Sicht nur stupide Pflanzenfresser.
“Wiesenverscheißer” wie er sie nannte.
Aber Schweine, was waren das für herrliche Tiere.
Die Ferkel sogen gierig an den Zitzen der alten Sau. Die wirkte zufrieden mit der Welt und ließ es über sich ergehen. Im Stall war es warm.
Schon als Kind waren die Schweine im Zoo für Flieder die Hauptattraktion.
Wer braucht Löwen oder Elefanten, wenn man stundenlang Hängebauchschweinen beim Suhlen, Fressen, Faulenzen zusehen konnte.
Mit der Kirche oder Vereinen hatte Flieder noch nie was am Hut gehabt und eine Frau nie gefunden. Seine Liebe zur Sau und die Beamtenlaufbahn bildeten die Schiene auf der Flieder ins Leben fuhr.
Die ersten Ferkel waren satt und taumelten auf ihren kleinen Beinen in Richtung Wärmelampe.
Lasst es euch gut gehen dachte Jürgen.
Er wusste, dass sie in spätestens sechs Monaten halbiert in einem Kühlhaus auf die Weiterverarbeitung warten würden.
So war nunmal der Lauf eines normalen Schweinelebens hierzulande.
Die Liebe zum Schwein reichte für Jürgen vom Stall bis auf den Teller.
Ob als Bratwurst, Brotaufstrich, Braten, Salami oder geräuchert, Hauptsache Schwein kam auf den Tisch. Täglich. Er hatte sie zum Fressen gern.
Seit er vor vierzehn Jahren aufs Land gezogen war wurde die Beziehung noch inniger.
Dank Wilfried Häckel.
Häckel, lediger Landwirt aus Leidenschaft und Schweinezüchter in vierter Generation war zunächst etwas verwundert als der pensionierte Finanzbeamte bei ihm mit einer ungewöhnlichen Bitte auf dem Hof auftauchte.
Er wolle einfach nur nah bei den Sauen sein sagte Flieder, ihnen beim Wachsen und Gedeihen zusehen bis zum Tag des Abtransportes um sie dann später beim Metzger veredelt wieder zu treffen.
Anfangs glaubte der inzwischen siebzigjährige Häckel einen abgedrehten Spinner vor sich zu haben.
Der entpuppte sich aber als angenehmer stiller Zaungast.
Mehr noch, ganz nebenbei beriet Flieder den Bauern auch noch in Steuerangelegenheiten und das so erfolgreich, dass Häckel mit dieser WinWin Situation mehr als zufrieden war.
Die beiden Männer konnten gut miteinander.
Und von der Ferkelgeburt bis zum Kesselspeck, Flieder war dabei.
Er half dem Bauern sogar beim großen Zerhacker.
Der Zerhacker stammte noch aus Vorkriegstagen, es gab nichts was der nicht klein bekam. Die Polizei und örtliche Jäger brachten oft die Kadaver von Tierunfällen – das gab hervorragendes Futter.
Egal ob Hase, Reh oder Wildschwein, alles wurde zu daumengroßen Pellets zerhackt. Selbst Hirsche samt Geweih.
“Leckerlis” wie Jürgen es nannte und mit der Hand liebevoll an die Schweine verfütterte.
Über die Jahre wurden Jürgen und Wilfried echte Freunde.
Aber vor acht Wochen wurde bei Flieder ein unheilbarer, schnell wachsender Krebstumor diagnostiziert.
Der 74 jährige nahm es gelassen. Sterben muß ein jeder irgendwann erklärte er seinem einzigen Vertrauten und Freund beim Essen. Es gab geschmorten Schweinenacken mit Knödel.
Nur die Sauen würden ihm fehlen fügte er nachdenklich hinzu.
Der Tumor wuchs schneller als prognostiziert.
Auf Schweine kannst du dich verlassen, bei Ärzten bist du es.
Es ist Zeit etwas zurückzugeben meinte Jürgen eines Abends als er und der Bauer bei einem besonders leckeren Schweinebraten zusammensaßen.
“Ich habe lange genug Schwein gehabt”. Bei dem Satz lachte er.
Dann wurde Jürgen Flieder sehr ernst und bat den Bauern um eine stille Übereinkunft.
Wilfried willigte ein.
Manche ließen sich verbrennen, andere im Meer versenken und die Masse wurde eingemöbelt und auf einem Gottesacker vergraben.
Jürgen Flieders sterbliche Überreste würden an den Zerhacker übergeben werden.
Er würde zu einem Sack Leckerlis werden, bestimmt hatten die Schweine auch ihn zum Fressen gern.
So schloss sich für ihn der Kreis.